Vorträge

Eine Einführung in das Tagungsthema

Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen stellt Fachkräfte vor komplexe fachliche wie auch emotionale Herausforderungen – sei es in der Einordnung von Hinweisen, der Einschätzung von Gefährdungslagen oder im professionellen Umgang mit Betroffenen.

Der Vortrag führt anhand aktueller Erkenntnisse in das Tagungsthema ein und beleuchtet Besonderheiten bei innerfamiliärer sexualisierter Gewalt. Der Fokus liegt dabei auf dem Erleben und den Bedürfnissen betroffener Kinder und Jugendlicher sowie auf den daraus resultierenden Anforderungen für die Interventionsplanung.

Mag.a Petra Birchbauer

RdK Steiermark, Bereichsleiterin Kinderschutz und Kinder-und Jugendhilfe

Klinische Psychologin und Psychotherapeutin, Bereichsleiterin bei RdK Steiermark für Kinderschutz und Kinder-und Jugendhilfe, Vorsitzende des Bundesverbandes österreichischer Kinderschutzzentren und im Vorstand des Dachverbandes Vernetzter Opferschutz und opferschutzorientierte Täterarbeit.

 

Im Vortrag werden aus der Hellfeldforschung Ergebnisse aus den großen Missbrauchsstudien in der deutschen katholischen und evangelischen Kirche berichtet. Darüber hinaus werden Ergebnisse der ersten repräsentativen Dunkelfeldstudie in Deutschland berichtet, die Prävalenz und Tatkontexte beim sexuellen Missbrauch von Kindern untersucht hat und welche Bedeutung den sozialen Medien dabei mittlerweile zukommt. Einige Überlegungen, welche Bedeutung die Forschungsergebnisse für die praktische Präventions- und Interventionsarbeit  und die Entwicklung von spezifischen institutionellen Schutzkonzepten haben könnten, werden abschließend erörtert.

Prof. Dr. Harald Dressing

Zentralinsititut für Seelische Gesundheit, Leitung des Insitituts Forensische Psychiatrie

Der Verdacht, das eigene Kind könnte sexualisierte Gewalt erfahren oder ausgeübt haben, stellt Eltern unvorbereitet vor große Herausforderungen und löst einen Sturm an heftigen Gefühlen aus, die von Angst über Sorge und Überforderung bis hin zu Scham und Schuldgefühlen reichen können.

Dieser Ansturm an Gefühlen macht es schwer, Ruhe zu bewahren, Hilfe zu suchen und sich einer Vertrauensperson anzuvertrauen. Eltern und nahe Bezugspersonen brauchen in dieser Situation zunächst Raum für ihre eigenen Gefühle und fachkundige Hilfestellung und Begleitung im schmerzhaften Prozess der Offenlegung. Sollte sich der Verdacht im weiteren Verlauf erhärten oder gar bestätigen, müssen rasch die passenden Interventionen gesetzt werden.

Prof. Dr. Ulrike Loch

Freie Universität Bozen

Ulrike Loch, Professorin für Soziologie an der Freien Universität Bozen sowie Direktorin des Kompetenzzentrums für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Freien Universität Bozen. Forschungsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendhilfe mit dem Schwerpunkt auf Kinderschutz, professionelles Handeln und qualitative Forschung.

Sie hat das Projekt „Gewalt an Kärntner Kindern und Jugendlichen in Institutionen“ geleitet.
Zentrale Publikationen sind:
Loch, Ulrike/ Imširović, Elvisa/ Arztmann, Judith/ Lippitz, Ingrid (2022): Im Namen von Wissenschaft und Kindeswohl. Gewalt an Kindern und Jugendlichen in heilpädagogischen Institutionen der Jugendwohlfahrt und des Gesundheitswesens in Kärnten zwischen 1950 und 2000. Innsbruck: Studien-Verlag

Imširović, Elvisa/ Lippitz, Ingrid/ Loch, Ulrike (2019): Totale Institutionalisierung als Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Institutionen. In: Österreichisches Jahrbuch für Soziale Arbeit, 1 (1), 49-76, DOI 10.30424/OEJS1901049

Loch, Ulrike (2025): Heilpädagogik, totale Institutionalisierung und sexualisierte Gewalt. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 50, (1), Art. 1. DOI 10.1007/s11614-024-00586-y

Auf Basis dieser Forschung entstand unter der Regie von Noam Brusilovsky das Theaterstück „Nicht sehen“ am Stadt Theater Klagenfurt.

Sexualisierte Gewalt durch weibliche Täterinnen wird bis heute zu wenig thematisiert. Die mittlerweile vorliegenden Untersuchungsergebnisse widerlegen viele der bestehenden Mythen. So verüben viele Frauen ihre Taten allein und nicht als Co-Täterin und sie wenden oftmals auch massive Gewalt an. Die Studien deuten darauf hin, dass ein Teil von ihnen „ganz normale Frauen“ sind. Hinter den zahlreichen Mythen verbirgt sich, dass es bis heute vielen Menschen schwerfällt, sich Frauen als Täterinnen vorzustellen. Dies widerspricht unserem Frauenbild und bei innerfamilialer sexualisierter Gewalt unserem Bild von Müttern. Im Vortrag werden die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentiert, um daraus Hinweise für die Intervention und die Prävention abzuleiten.

Dr. Dirk Bange

Leiter des Amtes für Familie in der Behörde für Schule, Familie und Berufsbildung Hamburg

Diplompädagoge, 1992-1996 hautamtlicher Mitarbeiter bei der Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen Zartbitter Köln, seit 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Behörden für Kinder- und Jugendhilfe. Fachautor zu verschiedenen Themen wie sexualisierter Gewalt, Kindertagesbetreuung und Kinder mit Behinderungen

Eine kritische Betrachtung des Traumabegriffs in der Kinderschutzarbeit

Nicht immer wurde in der Vergangenheit das traumatische Potential sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche anerkannt. Umso wichtiger ist es, dass mittlerweile zahlreiche Studien empirisch belegen, dass sexualisierte Gewalt traumatisch sein kann. So wichtig die Anerkennung als Trauma ist, verstellt sie aber auch den Blick auf manche Aspekte, die in der Kinderschutzarbeit wichtig sind. In der Regel entsteht die Traumatisierung nicht durch den Übergriff an sich, sondern prozesshaft durch das Geschehen danach. Das Aufdecken von sexualisierter Gewalt stellt für Betroffene und ihre Angehörigen eine Krisensituation dar, und rasche, gut abgestimmte Kinderschutzarbeit und Krisenintervention sind als Chance zu betrachten, um die Entstehung von Traumatisierungen zu verhindern.

Mag.a Barbara Neudecker, MA

Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche

Bildungswissenschaftlerin und Psychotherapeutin (IP), Psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin (APP Wien), Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung im Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren, Lehrende u.a. an der Universität Wien, Bertha von Suttner-Privatuniversität, Hochschule Campus Wien und in eigener Praxis tätig. Arbeitsschwerpunkte: Kinderschutz, Traumapädagogik, Psychoanalytische Pädagogik.

 

Auch wenn es deutliche Hinweise auf ein häufiges Vorkommen gibt, tauchen Fälle von sexualisierter Gewalt zwischen Geschwistern vergleichsweise selten im Hilfesystem auf. In diesem Vortrag werden Charakteristika und Spezifika dieser Gefährdungsform vorgestellt. Dabei werden Abgrenzungen zu einvernehmlichen Varianten kindlicher Sexualität vorgenommen. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung individueller, familiärer und gesellschaftlicher Risikokonstellationen und der Eröffnung von Perspektiven für die Intervention.

Dr. Peter Caspari

Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP), Wissenschaftliche Leitung

Peter Caspari (geb. Mosser), Dr. phil, Dipl.-Psychologe; Systemischer Therapeut, Traumatherapeut, Supervisor. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) München. Studien zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Misshandlung in Institutionen (Kloster Ettal, Odenwaldschule, Bistümer Hildesheim und Essen, Heime in Bayern, Bund der Pfadfinder*innen, …). 1999 – 2022 Mitarbeiter von KIBS in München (Beratungsstelle für von sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt betroffenen Jungen und jungen Männern). Praxis- und Forschungstätigkeit zu Prävention von (sexualisierter) Gewalt in pädagogischen Institutionen (PräviKIBS, IPSE).

Zwischenzeitlich müssen digitale Medien Tatinstrument oder Kontext sexualisierter Gewalt stets mitbedacht werden. Innerfamiliäre Missbrauchshandlungen werden gefilmt. Gewaltaufnahmen werden im Internet verbreitet oder getauscht. Zuvor bekannte sowie unbekannte Personen nutzen Chatfunktionen, um das Abhängigkeitserleben junger Menschen zu verstärken. Mediatisierte sexualisierte Gewalt ist weit mehr als Online Grooming. Der Vortrag beleuchtet Besonderheiten ihrer Gewaltdynamiken. Er begründet Standards, die in der Prävention und Intervention gelten.

Prof. Dr. Frederic Vobbe

Technischen Hochschule Köln, Professor für angewandte Ethik

Dr. Frederic Vobbe ist Professor für angewandte Ethik an der Technischen Hochschule Köln und ein deutscher Sozialwissenschaftler. Zu seinen Schwerpunkten zählen Forschungsethik, Professionsethik in helfender Berufen, sozialpsychologische Devianztheorien sowie mediatisierte sexualisierte Gewalt

Sorgen, Herausforderungen und Ressourcen

Eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen widmete sich der Frage, was es bedeutet, nach sexualisierter Gewalt in der Kindheit selbst Kinder zu haben und elterliche Verantwortung zu tragen. Dazu wurden Betroffene nach ihren Erfahrungen und Sichtweisen befragt, die in über 600 Fragebögen, 12 qualitativen Interviews und einer Gruppendiskussion erhoben wurden.
Im Vortrag werden zentrale Ergebnisse der Studie präsentiert, unter anderem zu den Fragen: Wie wird eine Entscheidung für oder gegen eigene Elternschaft getroffen? Welche Bezüge zwischen eigener Betroffenheit und gelebter Elternschaft werden gesehen? Wie wird mit den Kindern über die eigene Geschichte gesprochen? Welche Unterstützung wird gewünscht?
Es geht sowohl um Fragen, die für alle Eltern relevant sind, als auch um spezifische Herausforderungen sowie Ressourcen und Stärken betroffener Eltern. Es werden Bedarfe aufgezeigt und Empfehlungen formuliert, wie Betroffene angemessen unterstützt werden können.

Bianca Nagel (M.A.)

Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Bianca Nagel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie hat Soziologie in Jena und Potsdam studiert und arbeitet seit 2014 in unterschiedlichen Forschungsprojekten zum Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf dem Erleben und dem Umgang mit sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend sowie der Lebenssituation heute erwachsener Betroffener.